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"Der Beratungsbedarf ist groß, gerade mit Blick auf die kommunale Wärmeplanung."

 

Interview mit Dr. Boris Dombrowski, Stellvertretender Leiter Geo-Energie und Ressourcen, DMT Group

 

Quelle: e|m|w - Das ener|gate-Magazin. Ausgabe 6 (Dezember 2024)

 

 

Die Erdwärme gilt als Hoffnungsträger, nicht nur bei der Dekarbonisierung städtischer Fernwärmenetze. Auch die Industrie nimmt die Geothermie als Energiequelle zunehmend in den Blick. Allerdings ist dabei der Aufklärungsbedarf noch groß, wie Dr. Boris Dombrowski, Stellvertretender Leiter Geo-Energie und Ressourcen bei der Essener DMT Group, im Interview mit e|m|w-Redakteurin Mareike Teuffer erklärte. Das Unternehmen bringt sich dabei als Dienstleister in Stellung. Im Gespräch ging es aber auch um bestehende Showstopper der Erdwärmenutzung, das Geothermiebeschleunigungsgesetz und warum seismische Messungen fast ausschließlich nachts stattfinden.

 

 

e|m|w:
Herr Dombrowski, ich habe DMT in der Vergangenheit immer als Messdienstleister bezeichnet. Ist das eigentlich noch korrekt?

Dombrowski:
Nein, denn die 2D- und 3D-seismischen Messungen sind mittlerweile nur noch ein kleiner Teil unseres Portfolios. DMT hat sich vor rund zwei Jahren neu aufgestellt und bietet nun die gesamte Wertschöpfungskette rund um Erdwärmeprojekte an, von der ersten Machbarkeitsstudie bis hin zur Inbetriebnahme des Heizwerks. Nur das Bohren selbst übernehmen wir nicht. Aber die Vibrotrucks, die wir für unsere Messungen einsetzen, sind wohl in der Tat am bekanntesten und natürlich öffentlichkeitswirksamer als zum Beispiel eine Beratungsdienstleistung.

e|m|w:
Wenn das Aufgabengebiet so viel komplexer geworden ist, braucht DMT dafür auch neues Personal?

Dombrowski:
Wir sind schon ganz gut aufgestellt. In erster Linie haben wir in der gesamten DMT Group, interdisziplinär und über Gesellschaftsgrenzen hinweg, unsere Kompetenzen in der Tiefengeothermie zusammengebracht und punktuell weiteres Personal eingestellt. Zudem haben wir ein belastbares Netzwerk an Partnern, die uns in den Projekten unterstützen. Und wenn sich der Markt weiter so positiv für uns entwickelt, werden wir in Zukunft noch sehr viel mehr Personal brauchen. Initiativbewerbungen sind schon jetzt sehr willkommen.

e|m|w:
Was lässt Sie so optimistisch auf die künftige Auftragslage blicken?

Dombrowski:
Weil die Erdwärme, nicht zuletzt seit der Gaskrise, mehr politische Unterstützung erfährt. Zum ersten Mal stand das Thema Geothermie in einem Koalitionsvertrag. Das ist fantastisch und zumindest ein großer Verdienst der Regierung, dass sie das in die Wege geleitet hat.

e|m|w:
Warum war das für die Branche wichtig?

Dombrowski:
In dem Vertrag stehen eigentlich drei Dinge, die für unsere Branche wichtig sind: ein nationales Explorationsprogramm, ein Ausbauziel von 100 zusätzlichen Geothermieprojekten von 10 TWh pro Jahr und die Absicherung des Fündigkeitsrisikos. Denn trotz guter Vorbereitung können ein bis zwei von zehn Bohrungen nicht fündig sein, dieses Totalverlustrisiko kann sich kein Stadtwerk erlauben.

e|m|w:
Wie realistisch sind die Ausbauziele?

Dombrowski:
Es ist ein sehr unterambitioniertes Ziel verglichen mit dem, was die Geothermie leisten könnte. Mindestens 25 Prozent des gesamten deutschen Wärmebedarfs (etwa 300 TWh pro Jahr) ließen sich mit Erdwärme decken, das belegen alle Studien – die Experten sind sich ausnahmsweise mal einig.

e|m|w:
Spiegelt sich denn die größere politische Unterstützung auch schon in den Auftragsbüchern von DMT wider?

Dombrowski:
Ja, wir merken das anhand von Aufträgen und an Anfragen von Stadtwerken, aus den Kommunen und der Industrie. Auch auf Messen und Kongressen stellen wir immer wieder fest, dass der Beratungsbedarf groß ist, gerade mit Blick auf die kommunale Wärmeplanung. Das war auch ein Grund für uns zu sagen, wir haben dieses Know-how mit unseren rund 130 Geowissenschaftlern und Bergbau-Ingenieuren im Haus, wir bieten es jetzt als Dienstleistung an. Städte und Gemeinden haben und wollen kein eigenes Team von Geowissenschaftlern, weil sie ja nur für das eine Projekt gebraucht werden.

e|m|w:
Für welche Industriesektoren ist die Erdwärmenutzung denn sinnvoll?

Dombrowski:
Für alle Unternehmen, die ihre Prozesse dekarbonisieren und sich unabhängiger von fossilen Energieträgern machen wollen, mit einem Wärmebedarf bis 150 Grad Celsius oder denen die Nutzung von Dampf ausreicht. Die Landwirtschaft ist beispielsweise ein großer Bereich, etwa Gewächshauskomplexe, oder auch die Lebensmittel- und Papierindustrie.

e|m|w:
Wie viele Geothermieprojekte sind derzeit in Deutschland überhaupt geplant?

Dombrowski:
Es sind aktuell 133 Projekte, die bis 2030 realisiert werden sollen. Damit sind wir zwar europaweit führend, aber man muss dabei auch bedenken, dass die Projektierungszeit eines Erdwärmevorhabens derzeit bei acht bis zehn Jahren liegt.

e|m|w:
Woran liegt das?

Dombrowski:
Ein Punkt ist, dass es im Vorfeld – auch für die seismischen Messungen – viele Genehmigungen braucht, sei es wasserrechtlich oder betriebsrechtlich. Und der gesamte Prozess ist eben auch komplex, insbesondere im kommunalen Umfeld mit der sequenziellen Fördersystematik. Städte und Gemeinden müssen alles separat ausschreiben, da können sie nichts parallel machen. Das treibt die Projektlaufzeit ungeheuer in die Höhe. Deswegen verlangt die kommunale Wärmeplanung den Städten meiner Meinung nach zeitlich gesehen auch zu viel ab. Bis eine 3D-Seismik fertig ist, können drei bis vier Jahre ins Land gehen. Wenn an der Stelle nicht nachgebessert wird, bleibt eine kommunale Wärmeplanung unter Einbeziehung der Geothermiepotenziale zu ungenau.

e|m|w:
Wie entsteht ein solches Untergrundmodell mithilfe der 3DSeismik überhaupt?

Dombrowski:
Wir legen dafür zunächst sogenannte Geophone aus. Bei der gerade in Münster gestarteten Kampagne werden es beispielsweise circa 36.000 Stück sein. Die verteilen wir aus Akzeptanzgründen in der Innenstadt mit Lastenfahrrädern. Anschließend kommen Vibrationsfahrzeuge, die Vibrotrucks, zum Einsatz, die über eine vibrierende Platte leichte Schwingungen in den Boden aussenden. Die dabei erzeugten seismischen Wellen werden im Untergrund von den Gesteinsschichten reflektiert und an der Erdoberfläche über die Geophone erfasst. Solche Messungen gibt es in Deutschland übrigens schon seit 70 Jahren, vormals hat man diese Messungen für die Aufsuchung von Öl- und Gasfeldern genutzt.

e|m|w:
Das funktionierte genauso wie heute für Erdwärme?

Dombrowski:
Es gibt schon ein paar wichtige Punkte, wo es sich unterscheidet. So müssen die Erdwärmemessungen zum Beispiel im Gegensatz zu Öl und Gas vor allem im Stadtgebiet erfolgen, da wo die Fernwärme benötigt wird. Deswegen führen wir diese bevorzugt nachts durch.

e|m|w:
Warum?

Dombrowski:
Weil diese Vibrotrucks wie eine Wanderbaustelle sind, sprich sie behindern stark den Straßenverkehr. Die Fahrzeuge bewegen sich noch langsamer fort als beispielsweise ein Schwerlasttransport. Die Messpunkte sind etwa 30 Meter auseinander, dort vibrieren die Trucks eine Minute und fahren dann weiter. Da können Sie sich vorstellen, gerade im Berufsverkehr, dass es die Bürgerinnen und Bürger nicht besonders erfreut. Sie behindern aber auch den Rettungsverkehr. Zudem ist auch die Datenqualität nachts deutlich besser, weil es keine Störgeräusche gibt, von dem, was halt am Tag so in der Stadt los ist an Grundrauschen, wie Müllwagen oder Baustellen.

e|m|w:
Bekommen Sie für Ihre nächtlichen Messkampagnen denn auch mal Gegenwind?

Dombrowski:
Wir arbeiten für eine gute Sache und das merkt man auch an den Menschen. Der Gegenwind ist sehr gering. Natürlich ist eine frühzeitige Information der Bürgerinnen und Bürger dafür essenziell. Im Regelfall passiert bei den Messungen ja nichts und der kommunikative Aufwand, den unsere Auftraggeber, wir und unsere Partner im Vorfeld betreiben ist entsprechend hoch. In Münster etwa gab es Informationen über das Internet, im Radio und Fernsehen – es wurde sogar eine eigene Geothermie-Zeitung aufgelegt. Zudem hat die Stadt 180.000 mehrseitige Broschüren gedruckt und an alle Haushalte verteilt und kurz vor der Messung werden die betroffenen Anwohner nochmals durch Postwurfsendungen informiert.

e|m|w:
In Münster gab es im Vorfeld ja auch Probleme, die notwendigen Genehmigungen für die Messungen zu bekommen. Woran lag das?

Dombrowski:
Seismische Messungen fallen unter das Bergrecht. Eigentlich wissen die Bergämter, wie sie damit umgehen müssen. Allerdings ist in Nordrhein-Westfalen lange keine 3D-Seismik mehr gemacht worden, also musste sich das jüngere Personal in der Bezirksregierung wohl ganz neu mit dem Thema auseinandersetzen, was zu verstärkten Diskussionen geführt hat. Da ging es etwa um Dinge wie Lärmbelästigung. Aber das ist vielleicht eine Lernkurve, die wir noch nehmen müssen.

e|m|w:
Inwieweit kann das Geothermiebeschleunigungsgesetz für erleichterte Genehmigungsprozesse sorgen?

Dombrowski:
Aus unserer Sicht ist ein ganz wichtiger Punkt, den das Gesetz enthalten muss, dass wir ganzjährig arbeiten dürfen. Denn uns ist aktuell noch ein halbjähriges Arbeitsverbot auferlegt, weil wir in der Brut- und Setzzeit nicht messen dürfen. Diese Beschränkung ist aus meiner Sicht nicht notwendig, unter anderem, weil wir mit den Vibrotrucks nur entlang von Straßen und Wegen fahren. Zudem halten wir natürlich die Grenzwerte strikt ein, das können wir direkt online überwachen.

e|m|w:
Gibt es weitere wichtige Punkte, die aus Ihrer Sicht Geothermieprojekte beschleunigen können?

Dombrowski:
Sinnvoll wäre ein grundsätzliches Betretungsrecht in bestimmten Bereichen, etwa auf öffentlichen Plätzen, sodass wir uns dafür keine Genehmigungen mehr einholen, sondern es nur noch anzeigen müssen. Die schriftlichen Genehmigungen zu bekommen, ist nämlich relativ kompliziert und einer der Gründe für die lange Vorbereitungszeit bei innerstädtischen Messungen. Eine ambitioniertere politische Zielsetzung wäre wichtig, um schneller voranzukommen, und geothermische Explorationskampagnen der Bundesländer, um die geothermischen Potenziale zu ermitteln. Die mehrfach angekündigte Fündigkeitsrisikoversicherung sollte endlich realisiert werden und die Genehmigungsprozesse beschleunigt werden.

e|m|w:
Inwieweit ließen sich die Prozesse durch diese Entbürokratisierung beschleunigen?

Dombrowski:
Aktuell rechnen wir für zwei Monate Messungen mit etwa sechs Monaten Vorbereitungszeit. Da ließe sich sicher die Hälfte einsparen. Das ist auch kein Hexenwerk, man muss es nur vernünftig machen und die Behinderungen ausräumen.

e|m|w:
Wie das funktionieren kann, will DMT ja auch in einer gemeinsamen „ErdwärmeAllianz NRW“ mit Eon und der Deutschen Erdwärme zeigen. Was steckt hinter dem Projekt?

Dombrowski:
Wir wollen gemeinsam die tiefe Geothermie industrialisieren, also die Projektentwicklung, die aktuell bis zu zehn Jahre dauert, auf drei bis vier Jahre verkürzen. Dabei setzen wir auf Standardisierung und Parallelisierung der Prozesse und wir müssen in größeren Einheiten denken, also mehrere Projekte parallel angehen. Dazu haben wir im ersten Schritt ein großes Aufsuchungsfeld im Ruhrgebiet beantragt, also zwischen Oberhausen und Unna sowie Haltern und Hagen. Die 30 Kommunen vor Ort sind in den Prozess eingebunden und die meisten sehr interessiert daran, dass das Thema jemand in Gänze in die Hand nimmt und vorantreibt. Wir können so alle Genehmigungsprozesse parallel laufen lassen und brauchen zum Beispiel nur einen Betriebsplan für die Seismik und eine Kampfmittelrecherche und nicht 30.

e|m|w:
Wann soll das Projekt starten?

Dombrowski:
Wir rechnen im ersten Quartal 2025 mit der Erlaubnis. Dann kann es richtig losgehen. Interessierte Städte und Unternehmen können sich gerne schon jetzt melden, wenn sie sich daran beteiligen wollen.

 

Quelle: e|m|w - Das ener|gate-Magazin. Ausgabe 6 (Dezember 2024)

 

Dr. Boris Dombrowski

 

  • Promotion Geophysik (Seismologie), Ruhr-Universität Bochum
  • Master Business Administration,
  • FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Essen
  • seit 1997 verschiedene Positionen, DMT
  • seit 2022 Stellvertretender Leiter Geo-Energie & Ressourcen, DMT
  • Co-Initiator, Initiative EE-Industrie